Gewaltfreie Kommunikation im inklusiven Kontext

„Gewaltfreie Kommunikation (GFK) ist keine Methode, sondern eine Haltung, eine Art ständiges Training.“

Das sagt die Autorin des spannenden Ratgebers „Gewaltfreie Kommunikation bei Menschen mit Behinderung“. Das Buch von Karen Nimrich hat auch meinen Horizont in Sachen GFK noch einmal erweitert. Es ist eine fantastische Anleitung mit Erkenntnisgewinn für alle, die mit Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung leben und arbeiten, ob im institutionellen Bereich, als Arbeitgeber:in oder Führungskraft in Betrieben. Karen Nimrich gibt hilfreiche Tipps, für eine zielführende und stressfreiere Kommunikation, von der alle Beteiligten profitieren. Sie macht zudem verständlich, welche Idee hinter diesem Konzept nach Marshall B. Rosenberg steht.

Bedürfnisorientierte Kommunikation als Basis

„Seit meiner Fortbildung vor vielen Jahren ist die Gewaltfreie Kommunikation (GFK) nach Marshall B. Rosenberg ein wesentliches Element in meiner Arbeit“, sagt die Autorin im Interview: „Es war für mich schnell nachvollziehbar, dass sie in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen völlig neue Perspektiven eröffnet.“

Zum Einstieg und Verständnis erklärt Karen Nimrich in ihrem Buch die vier grundlegenden Schritte der GFK: Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Dem Begründer dieser Form bedürfnisorientierte Kommunikation war es jedoch wichtig, dass Gewaltfreie Kommunikation mehr ist als diese vier Elemente. „GFK ist die Haltung, wie ich mich selbst und andere Menschen sehe und ihnen begegne. Es geht um einen wertschätzenden und empathischen Umgang, der zur Verbindung beiträgt“, sagt sie. Ihr praxisnaher Ratgeber enthält zahlreiche illustrierte Seiten mit Übungen, die sie mit eigenen Erfahrungen belegt.

GFK aus Erfahrung in der Praxis

Karen Nimrich absolvierte ein Lehramtsstudium und eine Ausbildung in Heilerziehungspflege. Seit 2023 arbeitet sie als staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin in einer Kurzzeitunterbringung in Ulm, nachdem sie drei Jahre lang in einem Wohnhaus für Menschen mit sogenannten herausfordernden Verhaltensweisen beschäftigt war. Einfühlsam und gut verständlich beleuchtet sie in ihrem Buch die Aspekte Selbstfürsorge, Bedürfnisorientierung, Bitten und Empathie.

Ein wesentlicher Punkt ist dabei der Umgang mit Macht. Und das Besondere an ihrem Ratgeber ist letztlich ihre Erfahrung, dass GFK im Umgang mit Menschen mit Behinderungen oder kognitiven Begrenzungen sehr hilfreich ist und wirksam werden kann. Gingen wir allerdings davon aus, dass GFK nur die vier grundlegenden Schritte Beobachtung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte beinhaltet, würde sie mit vielen Menschen mit geistiger Behinderung nicht funktionieren, betont die Autorin. In vielen Fällen sei ein klares Nein erforderlich, um Übergriffe oder gewaltsame Handlungen unmittelbar zu verhindern oder zu beenden. Grundlegend erfolgsentscheidend sei letztlich die Bereitschaft der Begleitenden, sich auf dieses Kommunikationskonzept einzulassen.

Eine gute Aussicht auf Lösungen

Es gehe nicht darum, den Menschen mit Behinderung die Gewaltfreie Kommunikation beizubringen. „Der erste Schritt ist, dass wir es vorleben, uns mit Gefühlen und Bedürfnissen zu beschäftigen und diese zu verbalisieren. Dann werden auch Menschen mit einer kognitiven Behinderung diese Haltung auf ihre Art verinnerlichen. Ich weiß nicht, ob es dafür kognitive Fähigkeiten braucht. In meinem Herzen bin ich davon überzeugt, dass wir mit der GFK-Haltung geboren werden, nur wir lernen dann etwas anderes“, sagt Karen Nimrich.

Karen Nimrich
Karen Nimrich

Diese Erkenntnis belegt sie mit praktischer Erfahrung: „Wenn wir unsere Bedürfnisse und die Bedürfnisse der Menschen, die wir begleiten, im Blick haben, können wir dazu beitragen, dass die Bedürfnisse aller erfüllt werden. Ich bin davon überzeugt, dass es viel hilfreicher ist, erst die Bedürfnisse in den Fokus zu nehmen, da unsere Lösungen sonst möglicherweise nicht die gewünschte Veränderung bringen.“

Infos zur Autorin: Karen Nimrich

Fotos: Karen Nimrich; picslocation.de; Drobot Dean / Adobe Stock