Was ist Storytelling?

Das erklären wir am besten mit einer kleinen Geschichte. Sie erzählt von  einem kleinen Jungen, der Geometrie nicht leiden konnte, sich ein Fahrrad wünschte und darum ganz dringend eine Geschichte brauchte.

Leonard schwitzt. Wie war das noch? Hatte die Gerade zwei Eckpunkte und die Strecke eine? Oder die Halbgerade? Er schmeißt den Stift zur Seite. Doofe Geometrie! Das blöde Zeug konnte er sich noch nie merken. Und überhaupt: Wozu braucht er das? Außerdem muss er immer wieder an das Fahrrad denken. Es steht im Schaufenster ganz vorne. Der Rahmen ist knallgrün; die Klingel blau. Und es hat den allercoolsten Sattel überhaupt. „Fahrrad“ steht ganz oben auf Leonards Wunschzettel, in großen, grünen Buchstaben, mit einer Million blauer Ausrufezeichen. Und jedes Mal, wenn sie am Geschäft vorbeigehen, erklärt er Mama, wie toll das grüne Fahrrad doch ist, damit sie ihm auch ja nicht das falsche schenken. Aber man weiß ja nie.

Und jetzt machen sie auch noch diese blöde Geometrie, so kurz vor Weihnachten. „Nächsten Dienstag schreiben wir dann die Arbeit“, sagt der Mathelehrer gerade. Leonard reißt die Augen auf. Eine Arbeit! Auweia! Wenn er die verhaut, wird das bestimmt nichts mit dem Fahrrad. Fieberhaft überlegt er, was er tun kann. Dann fällt ihm Opa ein. Opa kann alles. Gleich am Nachmittag schiebt Leonard ihm das Heft unter die Nase. „Kannst du mir das erklären?“

„Klar“, sagt Opa. „Ist doch ganz einfach. Stell dir vor, du bist mit deinem Fahrrad unterwegs. Du startest an eurem Gartentor und radelst zum Spielplatz. Dann fährst du eine Strecke, denn du hast einen Start- und einen Endpunkt.“ Leonard verschränkt die Arme. Strecke. Klar. Das macht er oft. Vom Gartentor bis zum Klettergerüst dauert es genau 4,5 Minuten.

„Eine Halbgerade ist, wenn du mit deinen Eltern vor eurer Haustür losradelst, aber nicht genau weißt, wo es hingeht“, erklärt Opa weiter. „Werdet ihr in die Eisdiele fahren oder an den Baggersee? Zum Spielzeuggeschäft oder in den Wald? Dann hast du einen Startpunkt, aber keinen Endpunkt.“ Leonard grinst. Das machen seine Eltern oft. Dass sie ihm gar nicht sagen, wo es hingeht. Das ist dann jedes Mal eine Überraschung. „Und bei einer Gerade gibt es gar keine Punkte. Da weißt du gar nicht, wo es losgeht und wo es aufhört.“

Leonard seufzt. Ja, auch das kennt er. Im letzten Urlaub haben sie eine Radtour gemacht, die gar nicht zu Ende ging. Auf schnurgeraden Straßen haben sie sich abgestrampelt. Mit Gegenwind. Und mittags wusste Leonard schon gar nicht mehr, wo sie los gefahren waren. „Alles klar?“, fragt Opa. Leonard klappt sein Heft zu und strahlt. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Es wird dann doch eine drei in der Geometriearbeit, und das Fahrrad steht unterm Christbaum. Doch, viel wichtiger: Immer, wenn Leonard jetzt Fahrrad fährt, denkt er kurz darüber nach, ob das nun eine Strecke ist, die er macht, ob es sich wie eine Gerade anfühlt oder ob er auf einer Halbgeraden unterwegs ist.

Gern verpacken wir auch Ihre Botschaften und Informationen in eine Story, denn:

  • Geschichten verknüpfen Inhalte mit Emotionen.
  • Sie verankern Bilder und Gefühle.
  • Sie vermitteln Informationen, die lange im Kopf bleiben.
  • Menschen lieben Geschichten! 

Text: Dagmar Höner
Foto: Syda Productions / Adobe Stock