Stellen Sie sich folgende Situation vor: Während einer Schulabschlussfeier spricht die Direktorin ins Mikrofon und bittet alle Lehrer, auf die Bühne zu kommen. Ein Murmeln ist zu vernehmen und es scheint, als wären nun selbst die angesprochenen Lehrer unsicher, ob ihre weiblichen Kolleginnen ebenfalls gemeint sind. Selbstverständlich stehen schließlich Lehrer UND Lehrerinnen auf der Bühne, denn eigentlich war das ja klar. Oder?
Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie schnell wir in der Diskussion über das Gendern den Überblick verlieren können. Denn so klar ist es eben nicht, ob wir ‚gendern‘ und wenn ja, wie. Wie überall in der Gesellschaft sind jedoch auch Unternehmen gefordert, einen Konsens für das eigene Wording zu finden, ob im Dialog mit ihren Mitarbeiter*innen, Kund*innen oder Geschäftspartner*innen.
Sternchen, Binnen- oder Unterstrich? Reine Geschmacksache!
Sie sehen: Wir gendern mit Sternchen. Reine Geschmackssache! Denn es sind derzeit eine Reihe von Schreibweisen zeitgemäß: Das Sternchen (Kolleg*innen), das Binnen-I (SchülerInnen) oder der Unterstrich (Student_innen)? Eine allgemeingültige Antwort auf die Frage, ob diese optisch eher sperrigen, wenig lesefreundlichen Lösungen erforderlich sind, gibt es aus unserer Sicht nicht.
Neuen Zündstoff und Unsicherheit brachte zuletzt der Aufruf des Vereins Deutscher Sprache e.V., Düsseldorf, in die gesellschaftliche Debatte. Was die Aufforderung zum Widerstand gegen die sogenannte geschlechtergerechte Sprache langfristig bewirken wird, bleibt abzuwarten. Denn interessant sind für Unternehmen oder Institutionen vor allem die Fragen: Welche Signale wollen wir senden? Was erwarten unsere Kund*innen und Mitarbeiter*innen von uns? Wie positionieren wir uns durch eine gendergerechte Sprache oder die Ablehnung einer solchen?
Ein überzeuGENDER Auftritt?
Wie gendern Sie denn? Verlassen Sie sich bei der Beantwortung dieser Fragen auf Ihr Bauchgefühl? Oder treffen Sie eine Entscheidung, die zu Ihrer Unternehmenskultur passt? In einem aktuellen Leitfaden, den wir gerade für ein Industrieunternehmen formuliert haben, erklärt uns die Geschäftsleitung, welchen Weg sie für sich gefunden hat:
„Unser Leitfaden für unsere Mitarbeitenden dient der Transparenz. Er enthält alle wichtigen Informationen über Arbeitsschutz, Maßnahmen und gesetzliche Regelungen im Krankheitsfall oder über unsere Arbeitszeiten. Unser frisch überarbeiteter Leitfaden ist Bestandteil unserer Willkommensmappe und unserer Unternehmenskultur. Wertschätzende Kommunikation ist uns wichtig, jede Form von Diskriminierung für uns ausgeschlossen. Daher ist auch eine genderfaire Sprache für uns selbstverständlich. Abgesehen davon, dass wir neben Gesundheitsaspekten oder Werten wie Familienfreundlichkeit unsere Arbeitgeberqualität auch durch unser Wording zum Ausdruck bringen möchten“, so die Personalchefin der Hans Körber GmbH, Kirchlengern.
Das familiengeführte Industrieunternehmen hat sich konsequent für genderfaire Sprache entschieden, um allen Mitarbeitenden zu signalisieren, dass sie das formulierte Ziel und ihre Wertekultur wörtlich nimmt: Miteinander. Auf Augenhöhe. Im Dialog.
Wie für die meisten Unternehmen ist für unseren langjährigen Kunden in der Stahlbranche das Thema Fachkräfteakquise hoch aktuell. Und die Tatsache, dass in der Bereich Logistik in dem Industriebetrieb von einer weiblichen Führungskraft geleitet wird, nach wie vor ein Novum.
Leitfaden zur Orientierung
Doch welche Rolle spielt eine gendergerechte Sprache für die Gewinnung weiblicher Fach- und Führungskräfte wirklich? Mit dieser Thematik beschäftigt sich ein interessanter Leitfaden, den das Kompetenzzentrum Frau & Beruf in Ostwestfalen-Lippe herausgibt. Unter der Überschrift „überzeuGENDER: Weibliche Fachkräfte gewinnen“ fasst er zusammen, worauf es bei der Rekrutierung weiblicher Fachkräfte ankommt. So wird hierin unter anderem argumentiert, dass Frauen sich bei Stellenausschreibungen bereits von vermeintlich männlich konnotierten Adjektiven wie analytisch oder durchsetzungsstark nicht unbedingt angesprochen fühlen. Das gelte umso mehr, wenn ausschließlich die männliche Form verwendet wird. Wird also in der Stellenbeschreibung ein „durchsetzungsstarker Mitarbeiter mit analytischen Fähigkeiten“ gesucht, könnten sich Frauen übergangen fühlen.
So wirkt gendergerechter Sprache
Die Frage, was gendergerechte Sprache letztendlich bewirken kann, wollen wir an dieser Stelle nicht beantworten, stattdessen Argumente aufgreifen, die auch für uns überzeugend klingen. Dass es vor allem unter dem Aspekt ‚Employer Branding‘ sinnvoll ist, alte und überkommende Bilder von Fach- und Führungskräften in Unternehmen zu erneuern, ist für uns keine Frage. Wird, wie in unserem Einstiegbeispiel, nur die maskuline Form gewählt, erweckt das durchaus den Anschein, als wären nur männliche ‚Beschäftigte‘ vorhanden, so die Befürworter*innen des Genderns. Die weiblichen Adressaten würden ausgeklammert, zuerst beim Sprechen, dann in der Vorstellung. Es ist nachvollziehbar: Sprache transportiert Bilder (Vorstellungen), ob diese der Realität entsprechen oder nicht. So können in der Wechselwirkung solche Bilder auch Vorstellungen prägen und vermeintliche ‚Realitäten‘ schaffen, die sich in unseren Köpfen festsetzen. Und da sich unser Denken auch in unserer Sprache spiegelt, ist das durchaus ein schlüssiges Argument für eine genderfaire Sprache. Abgesehen davon, dass wir unter Umständen tatsächlich nicht wissen, welchem Geschlecht sich die Menschen, die wir ansprechen, zuordnen.
Zu welchem Schluss kommen Sie?
Fakt ist, die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung stellt uns vor die Herausforderung, eine Entscheidung zu treffen. Unabhängig von richtig oder falsch, ist eine klare Positionierung hilfreich. Gleichwohl ist die Entscheidung für eine genderfaire Sprache mehr als Geschmackssache, sondern durchaus auch ein Statement, das für die Gewinnung von weiblichen Fach- und Führungskräften durchaus eine Rolle spielen kann.
Wenn Sie sich mit uns über das Pro und Contra des Genderns und eine für Ihre Kommunikation geeignete Lösung austauschen wollen, sprechen Sie uns gern an. Wir beraten Sie gern und sind sehr gespannt darauf zu erfahren, wie Sie es handhaben!
Quellen:
Das Genderwörterbuch;
Rundfunk Berlin-Brandenburg, rbb,
Kompetenzzentrum Frau und Beruf OstWestfalenLippe Gmbh
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