Interview mit Wolf-Dietrich Trenner
Das Titelfoto dieses Beitrags zeigt Remy (mit seiner kleinen Schwester Ada), unserem neuen Serienheld in den MITTEILUNGEN, dem Magazin des Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland, dessen Redaktion wir Anfang 2020 übernommen haben. „Wir müssen über Risiken und Chancen einer inklusiven Gesellschaft reden“, sagt der Vorstandsvorsitzende Wolf-Dietrich Trenner in der zweiten Ausgabe des Magazins, das wir komplett relaunched haben.
Unser Team hat nicht nur viel Herzblut einfließen lassen, sondern auch unsere vielseitigen Kompetenzen. So wissen wir unter anderem, wie man eine Zeitschrift macht oder Informationen in ‚Leichte Sprache‘ übersetzt. Warum sich das Engagement für einen solchen Verein lohnt? Dazu nimmt Wolf-Dietrich Trenner jetzt auf unserem Blog persönlich Stellung.
Herr Trenner, Sie sind Vorstandsvorsitzender des Arbeitskreis Down-Syndrom; warum liegt Ihnen dieser Verein am Herzen?
Wolf-Dietrich Trenner: Es ist nie leicht, jemanden für die Vorstandsarbeit eines bundesweiten Vereins zu gewinnen. Es warten Arbeit und Verantwortung, Fahrten zur Geschäftsstelle nach Bielefeld und andere Reisen. Die meisten Eltern sind beruflich verpflichtet und fürchten den Zeitaufwand. Für mich sah es anders aus: Ich habe 1992 einen der Gründer des AK Down-Syndrom kennenlernen dürfen: Hermann Stüssel. Gemeinsam haben wir gegen die „Bioethik-Konvention“ protestiert, gegen fremdnützige Forschung an „Nichteinwilligungsfähigen“, gegen Peter Singer und seine ungeheuren Rechtfertigungen für die Tötung behinderter Kinder bis nach der Geburt und dessen Anhänger in Deutschland. Zuerst sollte ich die Geschäftsführung als Stellvertreter des Vorsitzenden unterstützen, als dieser aus persönlichen Gründen zurücktrat war ich plötzlich „amtierender Vorsitzender“.
Es gibt den Arbeitskreis Down-Syndrom seit mehr als 40 Jahren. Was hat sich in dieser Zeit gesellschaftlich verändert und somit an Ihrem Auftrag?
Der Elternverein hat viel erreicht. Der Begriff des „Mongölchen“, die Beschreibung „mongoloid“ sind zumindest in der Öffentlichkeit, Presse und anderen Medien nicht mehr Standard. Auch werden „Down-Syndrom“ und „geistige Behinderung“ nicht mehr so oft gedankenlos gleichgesetzt. Viele Eltern haben erkannt, dass sie die stärkste Lobby ihrer Kinder sind. Es gibt bundesweit Frühförderung, an fast allen „sonder-“pädagogischen Fakultäten gibt es eine Abteilung speziell für Down-Syndrom/Trisomie 21. Während zu Beginn die spezielle Förderung eines der Hauptziele der Elternarbeit war, hat sich das auch gewandelt. Heute geht es den Familien immer stärker darum, ein inklusives Leben für Menschen mit Down-Syndrom zu ermöglichen.
Wer profitiert neben den Betroffenen noch vom AK Down-Syndrom?
Die Gesellschaft profitiert davon, dass und wenn wir sie inklusiv gestalten, wenn Menschen mit Behinderungen ganz selbstverständlich dazu gehören. Nur so wird die ganze Breite menschlicher Existenz sichtbar, nur so können sich alle Menschen ihren Fähigkeiten entsprechend einbringen. Der Witz und die Gelassenheit, auch die Langsamkeit und die Ehrlichkeit von Menschen mit Down-Syndrom helfen uns allen. Und wenn in der Politik unser Eltern-Engagement sicht- und erfahrbar wird, dann hilft das, die Familien mit behinderten Angehörigen in ihrer Realität wahrzunehmen und bessere Politik für alle zu machen.
Was hat das mit Ihrer eigenen familiären Situation zu tun?
Meine Tochter ist 1987 geboren und taubblind. Sie hat nicht das Down-Syndrom, ist aber so schwer behindert, dass sie Hilfe in nahezu allen Angelegenheiten des täglichen Lebens braucht und lebenslang brauchen wird. Als Ärzte uns sagten, wir sollten es „lieber noch einmal versuchen“, dass unsere Tochter besser in ein Heim gegeben werden sollte, haben meine Frau und ich entschieden: Das wollen wir erst mal sehen. Es ist unsere Elternaufgabe, dafür zu sorgen, dass wir als Familie und gemeinsam mit unserer Tochter ein gutes und sicheres Leben führen können. Es ist ein gutes Gefühl, so ein positives Ziel im Leben zu haben. Wir sind da privilegiert.
Was ist Ihre persönliche Mission, der Grund dafür, dass Sie sich so engagieren?
Mein Leben ist endlich. Aller Voraussicht nach (und hoffentlich) endet es vor dem Leben meiner Tochter. Ich möchte, dass es über mein Leben hinaus Strukturen gibt, in denen sich Eltern für Menschen mit Behinderungen einsetzen. Nur das wird das Leben derer schützen, die sich nicht selbst mit genügend Einfluss und Kraft für ihre eigenen Interessen einsetzen können. Und natürlich möchte ich auch, dass weiter geforscht wird. Dass behindertes und chronisch krankes Leben wertgeschätzt wird, dass es bessere Behandlungen, bessere Förderungen gibt.
Mir geht es einfach um Fortschritt, der Menschen nützt. Und natürlich müssen wir über Risiken und Chancen einer inklusiven Gesellschaft reden und die Schritte, die sie in diese Richtung gehen wird, weil sie das muss. Denn Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten helfen dieser Gesellschaft, sich positiv zu entwickeln.
Das vollständige Gespräch mit Wolf-Dietrich Trenner lesen Sie hier.
Weitere Informationen: down-syndrom.org
Fotos: Merle Weidemann; privat