Ein Interview mit Frank Bartelniewöhner
Nicht alleine zu sein, in Zeiten der Pandemie und generell, in einer Lebenssituation, die immer wieder herausfordernd ist. Was wie der kleinste, gemeinsame Nenner klingt, ist in Wirklichkeit eine große Sache, findet der Bielefelder Frank Bartelniewöhner. Er ist 42 Jahre alt, hat Trisomie 21 und ist Mitglied im Arbeitskreis Down-Syndrom, wie schon seine Eltern, die den Verein mit aufgebaut haben.
Einen Verein mit Wurzeln in Bielefeld und einem bundesweiten Netzwerk, das sich seit mehr als 40 Jahren für Teilhabe und Inklusion stark macht. Wir sprachen mit Vorstand Wolf-Dietrich Trenner über die Bedeutung des Vereins in Zeiten der Pandemie.
Sicherheit und ein gutes Leben für Menschen mit Down-Syndrom und deren Familien über den Tod der Eltern hinaus. So fasst Vorstand Wolf-Dietrich Trenner das Ziel des Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e. V., Bielefeld, zusammen. Ein Ziel, an dem sich in den letzten vier Jahrzehnten im Grundsatz nichts geändert hat. Die Pandemie zeige allerdings deutlich, dass es gerade jetzt das Engagement von Elternvereinen wie dem AKDS braucht, um die bereits erzielten Erfolge in Richtung Inklusion nicht aus den Augen zu verlieren.
Arbeitskreis Down-Syndrom in Bielefeld
Das Büro des Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland e. V. (AKDS) in der Gadderbaumer Straße in Bielefeld ist aktuell für die Öffentlichkeit geschlossen. Gearbeitet wird hier trotzdem. „Ein Mitarbeiter in der Geschäftsstelle versendet täglich Informationsmaterial, leitet Anfragen und E-Mails weiter“, sagt AKDS-Vorstand Wolf-Dietrich Trenner. Er selbst berät telefonisch von seinem Büro in Berlin aus.
„Es sind überwiegend junge Eltern mit Sozialfragen, die sich entweder seit der Diagnose oder der Geburt ihres Kindes mit Down-Syndrom in einer völlig neuen Lebenssituation befinden. Für viele bricht eine Welt zusammen. Dann sind wir oft ein erster Anker, damit sie emotional und lebenspraktisch nicht untergehen. Und das seit mehr als 40 Jahren. Aktuell geht es oft um die Pandemie – sie ist für Familien und Menschen mit Behinderungen eine immense Belastung. Sie hat nicht nur weitreichende menschliche, sondern auch soziale und finanzielle Auswirkungen.“
Die Pandemie fordert Familien
Dass Alleingänge selten erfolgreich sind, wissen die Ehrenamtlichen im AKDS aus langer Erfahrung. Der Arbeitskreis kooperiert daher seit seiner Gründung mit anderen bundesweit vernetzten Sozialverbänden. „Wir werden immer wieder gefragt, ob ein Verein, der sich insbesondere mit den Anliegen von Menschen mit Down-Syndrom beschäftigt, noch zeitgemäß ist. Weil sich unter anderem die Vorstellung verbreitet, dass es aufgrund fortschreitender medizinischer Vorsorgediagnostik künftig weniger Menschen mit Trisomie21 geben wird. Abgesehen von ethischen Aspekten und der Tatsache, dass sich das niemals ausschließen lässt, geht es darum, die Menschen und Familien zu stärken, die jetzt mit dieser genetischen Besonderheit durchs Leben gehen. Für Menschen mit Behinderungen sind es neben den Professionellen oder Mitarbeitenden in den Einrichtungen insbesondere deren Familien, die sich lebenslang einsetzen, unabhängig von der Art oder Ausprägung einer Behinderung“, so Trenner.
Gerade die Pandemie zeige erneut, dass sich Verbände und Vereine auf ihre Gemeinsamkeiten konzentrieren müssten. Das Impfthema sei hier das aktuellste Bespiel. „Wir alle dürfen nicht stehenbleiben, sondern müssen unsere Kräfte bündeln und Grenzen überwinden. Aber wer sollte das tun, wenn nicht so etablierte Vereine wie wir, die jahrzehntelange Erfahrung besitzen. Viele Eltern, die geholfen haben, den AKDS aufzubauen, gehören inzwischen zu den ‚alten‘ Eltern. Ihnen ist es meist ein persönliches Anliegen, jungen Müttern und Vätern Mut zu machen. Das gelingt uns unter anderem mit unserem Magazin, den MITTEILUNGEN, als Netzwerkinstrument.
Eltern-Engagement ist unverzichtbar
Viele Engagierte sind Eltern, die sich selbst mit einer neuen schwierigen Lebens- und Versorgungssituation arrangieren müssen. Das heißt: Wir sind nicht nur eine Organisation, die hilft, sondern die auch auf Hilfe angewiesen ist. Damit auch die Interessen von Menschen mit Behinderungen in der aktuellen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung nicht untergehen. Von einer inklusiven Gesellschaft sind wir noch weit entfernt. Umso mehr müssen wir jetzt dranbleiben! Es braucht Eltern-Engagement, um die Realität von Familien mit behinderten Angehörigen sichtbar und erfahrbar zu machen. Meine Tochter ist 1987 geboren und taubblind. Sie hat nicht das Down-Syndrom, ist aber so schwer behindert, dass sie Hilfe in nahezu allen Angelegenheiten des täglichen Lebens braucht und lebenslang brauchen wird. Und ja, es ist Eltern-Aufgabe, dafür zu sorgen, dass wir als Familie und gemeinsam mit unserer Tochter ein gutes und sicheres Leben führen können.
Aber das schaffen wir und andere Eltern nicht allein. Wir brauchen den gesellschaftlichen und politischen Rückhalt, der uns darin bestärkt, ein positives Ziel im Leben zu haben. Dazu gehört auch ein kritischer Diskurs über Möglichkeiten und Grenzen der Inklusion. Einblicke in die Themen aus dem wahren Alltag von Menschen mit Down Syndrom geben wir zum Beispiel in der neuen Ausgabe der MITTEILUNGEN.“
Wort und Idee produziert seit Anfang 2020 das Magazin des Arbeitskreis Down-Syndrom Deutschland.
Titelgestaltung und Magazinlayout: Astrid Farthmann
Foto: Conny Wenk